Geredet wurde viel, gelangweilt hat sich wohl niemand. Große Lacher von Eltern, Lehrern und Mitschülern ernteten die Jungs der Klasse 10c. Als sie ihrer Lehrerin Maria Mattick (ganz in Pink) zum Abschied einen Sommerstrauß überreichten schleppten sie den in einem schwarzen Eimer auf die Bühne. Stilsicherer wurden andere Präsente abgegeben: Vom Hoodie mit allen Schülernamen bis zum Trikot des VfL Osnabrück.

Flotte Reden streckten das Programm auf über zwei Stunden. Dazwischen immer wieder Dia-Shows und Zeugnisübergaben für vier Realschul- und eine Hauptschulklasse. Der Theater WPK von Marietta Vortkamp begeisterte mit Szenen aus dem Schulleben.

Bürgermeister Reinhard Scholz erinnerte an das Motto seiner Jugend „Bunt ist das Leben und granatenstark“ und zitierte damit aus dem Teenie-Film „Bill & Teds verrückte Reise durch die Zeit“. Dieser Satz habe ihn geprägt, so Scholz. Er gab den Ratsschülern einige Ratsschläge mit auf den Weg und setzte dabei die Worte „Einigkeit“, „Recht“ und „Freiheit“ in Szene. Jugendliche sollen eine starke Einheit, egal an welcher Schule, sein und Freundschaften pflegen. „Kämpft um eure Rechte. Ihr lebt in einer tollen Zeit. Wir haben damals bei der Abschlussfeier aus Protest einen Parka getragen und keinen Anzug. Das haben wir uns erkämpft.“ Die Schüler hätten heute die große Freiheit bei der Berufswahl, so Scholz. Nie sei es so leicht gewesen, einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Abschließend äußerte Scholz seine Hoffnung, dass die Ratsschüler der Stadt Melle auch nach dem Abschluss erhalten bleiben und rief ihnen zu: „Denkt an eure Heimat.“

Nachdenklich wie auch unterhaltsam waren die Reden der Klassenlehrer Corinna Berstermann, Michael Jäkel, Thomas Christ, Maria Mattick und Karin von Pentz. Emotionaler Höhepunkt des Vormittags waren die Worte von Thomas Christ, als er seine 10b raus ins Leben schickte. „Ich bin heute 38 Jahre verheiratet. Ich danke auch im Namen meiner Frau, denn ohne sie hätte ich das nicht so lange ausgehalten.“ Christ lobte den gesamten Jahrgang für das exzellente Verhalten am Abschlusstag in der Schule, als sie eine kleine Show mit Spielen für Schüler und Lehrer gestaltet hatten.

In weiteren Reden sprachen Pastor Wallis, die Schülersprecher Andreza Glatzel und Sedar Güraslam sowie der Förderkreis-Boss Alfred Komesker an die Gesellschaft im sogenannten „Forum am Kurpark“.

Den am längsten anhaltenden Applaus erhielt der stellvertretende Schulleiter Johannes Kollwitz, der in diesem Jahr die Worte der Schulleitung an die Absolventen richtete. Kollwitz’ Rede wurden mehrfach vom Klatschen der Eltern, Schüler und Lehrer unterbrochen. Besonders lautstark wurde es immer dann, wenn er an die Bedingungen der diesjährigen 10. Klassen erinnerte, die auch mal mitten im Schuljahr innerhalb des Gebäudes umziehen mussten, damit am Reinickendorfer Ring alles für die IGS fein gemacht hat werden konnte. Diese fünf Klassen waren die letzten verbliebenen Ratsschüler am fast völlig abgenabelten alten Standort, der in den letzten Monaten zur Großbaustelle mutierte. Dort wurde trotz laufendem Schulbetrieb gleichzeitig Asbest zurückgebaut.

 

Die Rede des stellvertretenden Schulleiters, Johannes Kollwitz:

 

Sehr geehrter Herr Scholz, sehr geehrter Herr Nier, sehr geehrter Herr Wegesin, sehr geehrter Herr Look, sehr geehrter Pastor Wallis, liebe Ingeborg und Theo Neteler, lieber Joachim Riedel, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Eltern, liebe Abschlussschüler!

 

Habe nun ach Kunst, Germanistik und Pädagogik studiert, und da steh ich nun, ich armer Tor und bin noch dümmer als zuvor. Jetzt hat es mich doch noch erwischt. Eine Rede halten zu Eurer Abschlussfeier. Erst mal einen herzlichen Gruß von Herrn Jansen, dem Schulleiter, der heute leider nicht bei uns sein kann, da sein Gesundheitszustand eine Kur erforderlich machte.

 

Ein bewegtes Schuljahr geht für uns zu Ende, ein bewegtes Schulleben für Euch, liebe Abschlussschüler an der Ratsschule. Eine Schule und alle, die in ihr lernen und arbeiten, brauchen ein Zuhause, eine vertraute Umgebung. Die konnten wir Euch in den letzten sechs Jahren nicht mehr bieten. Als 2011 die ersten Klassen der IGS in unser altes Schulgebäude am Reinickendorfer Ring einzogen, verloren wir unsere Schulküche, unsere Werkräume, etliche Lagerräume und – was viel schwerer wog – unsere Identität. Eine Schule hatte plötzlich kein eigenes Zuhause mehr und eine ungewisse Zukunft vor sich. In den Folgejahren wurde es immer schwieriger für uns als Schulleitung und Kollegium und für Euch als Schüler. Immer wieder mussten Räume abgegeben werden, der nächste Jahrgang musste den Reinickendorfer Ring verlassen, Kartons mussten gepackt und transportiert werden. Zunächst mussten die Jahrgänge 5 und 6 an den Wallgarten, wo man sich ein Gebäude mit zwei weiteren Schulen teilen musste, mit der Grundschule und dem Gymnasium. Aber es kam noch schlimmer, als dann die Jahrgänge 7 und 8 aus dem Reinickendorfer Ring ausziehen mussten, war die Ratsschule eine Schule an drei Standorten – eine Schule ohne zu Hause. Schulfeste, Tage der offenen Tür, Abschieds- und Weihnachtsfeiern fanden am Schürenkamp statt, beengt und für viele Schüler in einer fremden Umgebung.

 

Baulärm, ein nur selten besetztes, in den letzten Monaten gar nicht mehr vorhandenes Sekretariat, Lehrer, die nicht immer präsent sein konnten, weil sie in ihren Pausen zu den anderen Standorten fahren mussten, insgesamt eingeschränkte Möglichkeiten: All dies prägte Eure letzten Jahre am Reinickendorfer Ring. Kurz vor Schluss sogar noch ein Umzug aus den vertrauten Klassenräumen in neue Räume im Erdgeschoss.

 

All das hab Ihr mit Engelsgeduld, ohne Murren, ohne die Nerven zu verlieren ertragen… Nee, nicht wirklich. Nein, ihr ward oft genervt, habt gemurrt, habt die Nerven verloren. Habt euren Unmut geäußert und zum Ausdruck gebracht, einmal mit unangemessenen Mitteln, aber dennoch verständlich. Und doch: Ihr habt mit uns Lehrern zusammen die Situation ertragen, mehr als das, ihr habt sie gemeistert. 63 % von Euch haben den erweiterten Realschulabschluss geschafft, in der Hauptschulklasse sage und schreibe 77% den Realschulabschluss.

 

Gute Noten und tolle Zeugnisse sind das Eine. Tolle junge Menschen das Andere. Wenn ich an die INVESTOR-Woche zurückdenke, was 25 von Euch da geleistet haben: sensationell, die TELC-Teilnehmer unter Euch: bärenstark. Unsere Fußballmannschaft. Was ihr in meinem Lieblingsfach Kunst geleistet habt: Spitzenniveau. Drei von Euch waren mit je einem Bild für vier Wochen im Kunstmuseum Celle in der großen Ausstellung des Landeswettbewerbes JUGEND GESTALTET vertreten, bei dem sonst fast nur Gymnasiasten ausgezeichnet wurden. Aus Eurem Kreis kommen die Sieger des Planspiels Börse, das die Ratsschule zum dritten Mal hintereinander gewinnen konnte. All dies unter den erschwerten Bedingungen zu leisten, fordert höchsten Respekt und höchstes Lob. Und eine donnernden Applaus.

Das Niveau verlässt den Reinickendorfer Ring, so lautet der Aufdruck auf euren Abschluss-T-Shirts. Ich hoffe, Ihr könnt dieses Niveau halten, könnt es, könnt euch steigern. Manche von Euch kennen meinen Spruch: Der Feind des Guten ist das Bessere. Ihr werdet auf Euren weiteren Lebenswegen noch viel, viel lernen müssen. Interessantes, Schmerzliches, Schönes und – was leider immer stärker wird – Verwertbares. Ökonomisierung der Bildung heißt hier das Reiz- und Stichwort. Bildung wird auf Verwertbarkeit hin abgeklopft, auf berufliche Verwertbarkeit, um im Berufsleben zu bestehen und erfolgreich zu sein. Neben dem Berufsleben gibt aber noch ein anderes Leben, das ganz anderer Bildung bedarf. Bereiche wie Kunst, klassische Musik, Architektur, Literatur, Geschichte und Politik … für all das muss man sich interessieren können, damit man Freude an einem Museumsbesuch, an einem guten Roman, einem schönen Gedicht, an einer gotischen Kathedrale haben kann. Für Geschichte und Politik sollte man sich interessieren, Zeitungen und Bücher lesen, um mitreden zu können, um beurteilen zu können, um kritisieren zu können, um mitgestalten zu können, um z.B. rechtes AfD-Geschwafel und Pegida-Parolen demaskieren zu können. Diese Art von Bildung, die ich meine, soll immer mehr aus Schule herausgedrängt werden. Um diese Bildung musst ihr euch selbst kümmern, da am Ball bleiben, neugierig bleiben, offen bleiben. In meinem Leben zum Beispiel spielen die klassische Musik und die moderne Kunst eine ganz wesentliche Rolle, es wäre sehr, sehr schade, wenn die Türen zu diesen großartigen Welten für euch verschlossen blieben.

 

Kommen jetzt schwierige und schmerzliche Zeiten auf euch zu? Ich weiß es nicht. Alles wird toll, alles wird gut. Wer könnte das sagen? Wem würdet ihr das uneingeschränkt glauben? Ihr müsst in zwei, drei Jahren aus dem Modus Jugendlicher mit Base Cap und mit Kopfhörern in Ohren in den Modus Erwachsener – nicht unbedingt mit Anzug und Krawatte oder dem kleinen Schwarzen – wechseln. Ihr werdet immer stärker Verantwortung übernehmen müssen – für Euch, euer Leben, eure Zukunft, für andere Menschen, einen festen Partner und vielleicht irgendwann mal in ferner Zukunft für Kinder. All das ist nicht leicht, ist mit Mühen, manchmal Schmerzen, manchmal mit Rückschlägen verbunden. Aber genau das ist es, was jetzt auf euch zukommt: DAS LEBEN. Macht etwas daraus, macht mehr daraus als Party, als abhängen, als rumchillen, als drei Staffeln Game of Thrones hintereinander mit einer Tüte Chips auf dem Sofa. Ihr könnt das, dessen bin ich sicher. Vielleicht haben wir als Lehrer bei der Vorbereitung auf diesem Weg ein klitzekleines bisschen helfen können. Falls ihr das auch so seht, würden meine Kollegen und ich uns sehr freuen. Deshalb machen wir ja diesen Job, nicht weil wir binomische Formeln oder die Mendel’schen Gesetze lieben, sondern Menschen wie Euch, Menschen die sagen: Welt pass auf, ich komme, ich habe etwas zu sagen, ich habe etwas zu geben. Wir verlieren uns jetzt aus den Augen, Eure Eltern bleiben in der Nähe und begleiten euch noch Stück, vielleicht weniger als Mama und Papa, sondern eher als Partner, die schon ein Stück vorausgegangen sind.

 

Liebe Abschlussschüler, noch mal meine herzlichsten Glückwünsche zu Eurem Abschluss. Macht es gut, findet einen Weg, findet Euren Weg. Ich werde euch vermissen.

Tschüss!

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